Sammelband
Sammelband zur Reihe: Kritische Datendiskurse
2026 wird ein Samelband zur Reihe Critical Data Discourses erscheinen.
Die Beiträge des Sammelbands gehen aus der digitalen Veranstaltungsreihe hervor und bündeln das dort zusammengetragene Wissen aus unterschiedlichen Fach- und Praxisfeldern. Sichtbar wurde in der Reihe, dass in vielen Disziplinen intensiv über datenethische Fragen nachgedacht wird, zugleich aber noch Verbindungen zwischen den Diskursen fehlen. Der Sammelband knüpft an diese Diskussionen an und führt den angestoßenen interdisziplinären Austausch fort.
Neben „klassisch“ wissenschaftlichen Aufsätzen kommen auch Personen zu Wort, die außerhalb der etablierten Wissenschaft Daten erheben und auswerten. Ihr Wissen wird unter anderem in Form von Interviews und Essays eingebunden, um diese Perspektiven besser sichtbar und zugänglich zu machen. Wie schon die Veranstaltungsreihe richtet sich der Sammelband an alle, die mit Forschungsdaten arbeiten – unabhängig von der Disziplin. Zum angesprochenen Publikum gehören daher neben Forschenden und Mitarbeitenden im Forschungsdatenmanagement auch Personen, die in Bereichen wie Dateninfrastrukturen sowie (musealen) Sammlungen tätig sind.
Der Sammelband wird im Verlag transcript als Open Access Publikation erscheinen. Angestrebt ist Herbst 2026.
Exposé
Nachdenken über Daten wird in unserer datengetriebenen Welt immer wichtiger. Nicht nur spielen Daten in der Wissenschaft eine herausragende Rolle, sie begegnen uns in allen Bereichen unseres Lebens: als Grundlage politischer Entscheidungen, in Datenbanken von Online-Enzyklopädien und Wissensinstitutionen, in der Diskussion um künstliche Intelligenz, in interaktiven Graphiken des Datenjournalismus, in Kriminalitätsstatistiken und Datenschutzdebatten. Mit der Wichtigkeit und Ubiquität von Daten geht jedoch auch eine gestiegene Aufmerksamkeit einher, wie sich Daten innerhalb bestehender (Macht-)Strukturen auswirken. Dabei gibt es kein einheitliches Narrativ, sondern je nach Situation und Kontext können Daten ganz unterschiedliche Rollen spielen und zum Beispiel Machtgefüge stützen oder ins Wanken bringen, wichtige Informationen aufzeigen oder Desinformationen begünstigen, Teil von Ausbeutung oder von Ermächtigung sein. Diese Aspekte betreffen die Gesellschaft als Ganzes aber auch wissenschaftliche Praktiken, die wiederum die Gesellschaft beeinflussen.
Forschungsdaten dienen als Basis für wissenschaftliche Erkenntnisse und werden teilweise mit großem Mittel- und Zeitaufwand erhoben bzw. generiert. Insbesondere in den letzten Jahren haben daher Bestrebungen zugenommen, Daten nachnutzbar zu machen, sodass sie als Ressource möglichst vielen zur Verfügung stehen. Kodifiziert wurde diese Idee mit der Veröffentlichung der FAIR-Prinzipien (Mark Wilkinson et al. 2016). Mit dem Verweis, Daten findable, accessible, interoperable und reusable zu machen, wurde durch die FAIR-Prinzipien ein Quasi-Standard für die Veröffentlichung von Forschungsdaten geschaffen, der mittlerweile im Forschungsdatenmanagement, aber auch im DFG Kodex “Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis” empfohlen wird. Zusätzlich erfährt auch der Open Data Gedanke – Daten so weit wie möglich öffentlich zugänglich zu machen – immer mehr Zustimmung.
Bezieht man jedoch Kontexte, in denen Daten erhoben und ausgewertet werden mit ein, zeigt sich eine eklatante Lücke in den FAIR-Prinzipien. Im internationalen Raum wurde in Reaktion auf die FAIR Prinzipien sowie Desiderate der Open Data Bewegung ein Empfehlungspapier entwickelt, das sich dem Thema Fairness und Forschungsdaten widmet: die CARE-Prinzipien (Carroll et al. 2020). Entstanden aus dem Kontext indigener Selbstverwaltung, wurden die CARE-Prinzipien in Zusammenarbeit verschiedener indigener Netzwerke und auf Basis bereits existierender Grundlagentexte 2020 veröffentlicht. Die CARE-Prinzipien können als komplementär zu den datenzentrierten FAIR-Prinzipien verstanden werden und rücken Aspekte wie Verwendungszweck und die Verbindung von Daten und Personen in den Mittelpunkt. Auch wenn die CARE-Prinzipien mittlerweile im deutschen Forschungsdatendiskurs rezipiert werden, gibt es weiterhin Lücken insbesondere in der theoretischen Auseinandersetzung mit den CARE-Prinzipien und deren praktischer Anwendung auch außerhalb von indigenen Kontexten. Hinzu kommt, dass weitere ethische Aspekte von Daten, die speziell den deutschen Raum und die deutsche Wissenschaftsgeschichte betreffen, noch unzureichend behandelt und mit Empfehlungen bedacht worden sind. Dies betrifft beispielsweise Daten im Zusammenhang mit der NS-Zeit sowie aus der deutschen Kolonialherrschaft. Aber auch viele weitere Themen, wie der Umgang mit sensiblen Daten, Anerkennung für Data Care Work, Counter Data oder Data Refusal, die international zunehmend intensiver diskutiert werden, könnten stärker in bestehende Datendiskurse im DACH-Raum eingebracht werden. Denn Empfehlungen für einen fairen Umgang mit Daten entlang des gesamten Forschungsdatenlebenszyklus und gegenüber allen Beteiligten – Forschenden, Forschungsteilnehmer:innen, Data Workers, aber auch von Forschungsprojekten betroffenen Communities, um nur einige zu nennen – sind bislang unterschiedlich stark in den verschiedenen Fachgebieten etabliert oder fehlen teilweise gänzlich.
Dieser Sammelband vereint Wissenschaftler:innen und Expert:innen außerhalb der Wissenschaft, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven den ethischen Implikationen von verschiedenen Datenpraktiken widmen. Dazu gehört das Nachdenken über den Umgang mit Sammlungen z.B. mit kolonialem Raubgut, aber auch der Sichtbarmachung indigener Forschender, über Lücken in wichtigen Datenerhebungen und welche gesellschaftlichen Konsequenzen diese mit sich bringen, über Datenauswertung durch künstliche Intelligenz und deren Folgen, oder zu disziplinärer Datenethik in Bereichen wie Medizin und Literatur.